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Verstehen von Kunstwerken |
"Das verstehe ich nicht." Ein Satz, den man oft von "Uneingeweihten" über die zeitgenössische Kunst hört. Der Satz kann zweierlei meinen: 1. Ich verstehe das Kunstwerk nicht. 2. Ich verstehe nicht, warum das Kunst ist/ sein soll. |
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Der erste Satz versteht das
Werk als einen Text im wohlverstandenen Sinne, der zu
entschlüsseln ist. Das Kunstwerk ist
in einer "Sprache" codiert, die nicht jedem gleich und ohne Weiteres
verständlich ist. Der Code muss gelernt werden. Da
Werke der modernen Kunst als einzigartig und unvergleichlich
konstruiert werden, hat jedes einen eigenen Code, den zu
entschlüsseln erfordert Hingabe und intensive
Beschäftigung. Im Zweifelsfall muss man sich auch anderweitig
informieren. Die Aussagen des Künstlers sind allerdings nur
bedingt zulässig, das Werk kann durchaus mehr sagen, als der
Künstler meint. Durch
Führungen und Informationsblätter versuchen viele
Einrichtungen der Aussage: Das versteh ich nicht. vorzubeugen. Dabei
erweisen sich die Erklärungen oft als sehr banal. Häufig wird
die Biografie des Künstlers oder der Künstlerin zur
Erklärung herangezogen, oder es wird auf Entwicklungen der Kunst
verwiesen. Bei M. Duchamp, Akt, eine Treppe hinabsteigend, von 1912 haben viele ungeübte Betrachter
Schwierigkeiten, den Akt und die Treppe auszumachen. Wenn man es
ihnen gesagt und gezeigt hat, dann akzeptieren sie es mehr oder weniger. |
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![]() Der sattsame bekannte Springbrunnen von Marcel Duchamp von 1917 |
Viele, die obigen Satz
äußern, meinen aber eher die zweite Bedeutung. Sie verstehen
nicht, warum ein bestimmtes Bild Kunst sein soll, gerade deshalb, weil
sie es leicht verstehen und es für banal oder
uninteressant halten. Sie verstehen
das Werk als Text in obigem Sinne, verstehen aber nicht, warum diese
Aussage besonders wichtig
oder relevant sein soll. Das nebenstehende Urinal mit dem Titel
"Fountain" von Duchamp ist an sich leicht zu verstehen - etwa über
Manneken Piss aus Brüssel. Gegen derartige Einwände
lässt sich anführen, dass der Künstler der erste war -
eine moderne Variante des Genies. Andererseits lässt sich durch die ambitiöse Sprache der Kunstbegleitliteratur das einfache Verstehen der Werke in Frage stellen: Lieber naiver Betrachter, was Du zu verstehen meinst, ist wesentlich komplexer als Du denkst... Dabei werden banale Sachverhalte in einer Sprache präsentiert, die ansonsten in der Philosophie zum Einsatz kommt, wo es um letzte Dinge geht. Ein wunderschönes Beispiel sind die Texte zur Ausstellung von Dan Flavin in der Pinakothek der Moderne, München (2006/2007). Wunderschön der Beitrag über die Installation von Schwarzlicht-Neonröhren. |
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Ein Kunstwerk verstehen bedeutet also weniger, die Aussage oder Botschaft des Werkes zu verstehen, als zu akzeptieren, dass es sich um etwas Besonderes - eben ein Kunstwerk - handelt, dem die entsprechende Aufmerksamkeit und Achtung entgegengebracht werden muss. Zu Ende gedacht bedeutet es, das Kunstsystem zu akzeptieren. Hinter der Bezeichnung Verstehen verbirgt sich Missionierung - und Nichtverstehen heißt Banause sein, heißt nicht dem rechten Glauben angehören. | |
Franz Billmayer, 1.9.2007 |